Lange Anreise mit Zug und Bus und dann Beginn in Steinhausen bei Biberach. Es hat sich im Lauf des Tages zugezogen und gießt nun wie aus Eimern. Zum Glück gibt es eine Kirche. Der Weg hinein wird zur Flucht in die Arche, ins Trockene. Die Kirche selbst, ein barockes Juwel: Ausgeklügelte Raumgestaltung mit elliptischen Bögen. Von einem Punkt aus sieht man kein Fenster, der verdeckte Lichteinfall macht den Raum wohltuend hell, und das trotz der Regenwolken heute. Die Deckengemälde mit der Glorie Mariens im Zentrum durchzieht das Motiv des Gartens. Phantasievoll werden Eden, Anspielungen auf das Hohe Lied und der Barockgarten aneinander gereiht. Die vielen Einzelheiten in der Stuckausstattung, Tiermetaphorik, teils skurril, teils rustikal grob, teils hintersinnig, wie im Barock üblich. Eine kurze Andacht, ein Magnificat, dann hinaus ins Regenwetter. Die Dachrinnen fassen die Wassermassen nicht mehr. Wer nicht aufpasst, wird mit einem feuchten Schwall aus der Höhe aus allen Träumen gerissen. Der Abend in Bad Waldsee. Nach dem gemeinsamen Essen der langwierige Versuch ein halbwegs trockenes Plätzchen für das Abendlob zu finden. Die Kirchen sind längst geschlossen. Es wird schon dunkel, aber es findet sich eine Bucht am See.
Der nächste Tag beginnt trocken, zunächst. Noch einmal ein Blick auf ein Gemälde von Siger Köder in der ehemaligen Klosterkirche: Bergende Hände um Mutter und Kind, um den Vater und schließlich um Himmel und Erde, ein vom Künstler oft gestaltetes Motiv. Was soll uns da heute schon passieren, wenn wir mit einem solchen Bild des Glaubens aufbrechen. „Wer unterm Schutz des Höchsten steht, im Schatten des Allmächtigen geht.“ Die Morgenstation in der Frauenbergkapelle und dann hinaus auf den Weg durch Wald und Feld. Ein paar Sonnenstrahlen verirren sich zu uns, die letzten für diesen Tag. Es zieht sich zu. Die heutige Strecke ist weit. Eine mögliche Abkürzung verwerfen wir, die Wege sind zu nass. So bleiben wir auf der Straße. Gegen Mittag beginnt es zu regnen. Ein Bauer am Weg verkauft Brot, Schinken, Käse und Hochprozentiges. Einige Verwegene trauen sich. Unser Mittagessen auf grüner, lichtumfluteter Höhe am Waldrand müssen wir streichen. Der Regen verstärkt sich. Im nächsten Dorf bei einem Hof eine Kapelle und eine offen stehende Scheune. Auf meine Frage, ob wir uns eine halbe Stunde unterstellen könnten, meint die Hausherrin etwas zögernd und vielsagend, ja schon, aber wir könnten auch in die Kapelle gehen. Den Hinweis, dass sie dann hinterher die Kapelle putzen müsse, wehrt sie ab, das sei sowieso fast alle Tage der Fall, und gibt uns den Schlüssel. Als wir uns alle eingerichtet haben, ist die Kapelle bis auf den letzten Platz besetzt. Es regnet weiter. Mittagsgebet und Mittagessen. „O lass im Hause dein uns all geborgen sein.“ Dann lässt der Regen nach. Wir packen zusammen und gehen. Das Haus Gottes sieht nicht gerade feierlich aus, Wasserlachen und Stiefelspuren auf dem Boden. Im Wald dann spürt man den Regen nicht mehr so, aber wenn die Bäume sich schütteln, regnet es doppelt. Im Dorf, eine Stunde vor unserem Ziel, eine ansehnliche Gastwirtschaft, aber man will uns nicht. Sie hätten nur eine Kaffeemaschine und auch nicht so viel Kuchen. Der wahre Grund liegt auf der Hand: Man braucht uns nur anzusehen. Wir schütteln das Wasser von unseren Füßen und gehen weiter. Unser Glück: Am Ende des Dorfes wieder eine Kapelle, wieder klein, aber gerade für uns passend. Die Türe steht offen. Als wir eingetreten sind, geht draußen ein Sturzbach nieder. Wasser schießt an der Straße entlang, quillt aus Wiesen und Gärten. „Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Wasser, gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.“ Warum also sollen wir den Mut verlieren. Zu viel darf es allerdings auch nicht werden, und gerade das passt dann auch. Als wir weitergehen, ist der Regen vorüber, es ist klar und frisch geworden. So erreichen wir Weingarten. Eine kurze Erinnerung an die Geschichte des Ortes und in der Basilika eine Probe der Akustik mit einigen frohen Liedern. Dann Quartier beziehen und Abendmahl in großer Runde.
Da wir den Tag zuvor lange für unseren Weg gebraucht haben, brechen wir heute eine Stunde früher auf, denn unsere Zeitkalkulation ist etwas eng und wir müssen pünktlich am Bahnhof sein. Niemand murrt, kein Problem also. Unsere Morgenstation verlegen wir von St. Jodok in Ravensburg hinaus ins Freie, so haben wir die Stadt schon einmal hinter uns. Dort sind heute eh die Massen los, man feiert ein Volksfest, nichts für uns, die wir ein anderes Ziel haben. Der Tag wird sonnig. Es geht munter dahin. Alle laufen, was das Zeug hält. So haben wir schließlich noch genug Zeit, eine Wiese mit Bäumen zu finden, unsere Uhren wegzustecken und gelassen eine Viertelstunde unter einem Baum zu sitzen und die Zeit verrinnen zu lassen. Die Übung war für gestern geplant, aber da hätten wir nasse Hosen bekommen und einen Regenschirm gebraucht. Heute geht der Blick hinüber zur nahen Alpenkette. „Jeder sitzt unter seinem Feigenbaum und unter seinem Weinstock und niemand schreckt ihn auf.“ In der Jakobuskirche von Brochenzell beschließen wir heute am Jakobustag unseren Pilgerweg, nehmen in einer kleinen Gastwirtschaft unser Abschiedsessen ein und sind entschlossen, so Gott will, mit neuen und alten Pilgergefährten nächstes Jahr weiterzugehen.
Ultreya!
Gerhard Schneider
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